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Cybergrooming / Keuschheitsprobe

Am 14.02.2020 hat der Bundesrat die vom Bundestag beschlossenen strafrechtlichen Verschärfungen beim Cybergrooming gebilligt. Nach der neuen Regelung ist in Zukunft auch der Versuch eines sexuellen Kontakts zu einem Kind im Internet strafbar. Wenn ein Täter, entgegen seiner Absicht nicht mit Minderjährigen, sondern tatsächlich mit Erwachsenen chattet, die sich zu Ermittlungszwecken als Kinder ausgeben, ist er nun strafbar. Bisher liefen in solchen Fällen strafrechtliche Ermittlungen ins Leere.

Außerdem dürfen Ermittler nach der neuen Gesetzeslage als sogenannte Keuschheitsprobe zur Verfolgung von Kinderpornografie computergenerierte Missbrauchsvideos einsetzen. Dadurch sollen sie Zugang zu Plattformen erhalten, auf denen kinderpornografisches Material getauscht wird. Bisher war dies kaum möglich, da sich die Betreiber durch die Aufnahmevoraussetzung des Postens kinderpornografischen Materials (Keuschheitsprobe) absicherten. Die Verwendung solchen Materials muss zuvor richterlich genehmigt werden. Nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten kann das neue Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet werden.

Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)

Mit bis zu 150.000  neuen Verfahren pro Jahr bei den Staatsanwaltschaften rechnet der Deutsche Richterbund wegen des neuen Gesetzes gegen Hasskriminalität. Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sagte: „Ein erheblicher Teil davon wird anschließend auch die Strafgerichte beschäftigen. Nach den üblichen Personalschlüsseln der Justiz braucht es bundesweit etwa 400 zusätzliche Staatsanwälte und Strafrichter, um die neuen Aufgaben effektiv bewältigen zu können.“

Für die Strafjustiz wird das neue Gesetz gegen Hasskriminalität wohl ein Kraftakt. Gleichwohl betonte Rebehn, dass es richtig sei, dass die Bundesregierung Bedrohungen, Hass und Hetze im Netz konsequenter verfolgen und Strafvorschriften erweitern will. „Der Rechtsstaat ist gefordert, der Spirale von Hass und Gewalt klare Grenzen zu setzen. Ohne deutlich mehr Personal und eine weitergehende Spezialisierung in der Justiz wird es aber nicht gehen.“

Zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat das Bundesjustizministerium für die bessere Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität vor allem im Internet kürzlich ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die stärkere Verpflichtung sozialer Netzwerke vorsieht, dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle bestimmte strafbare Inhalte zu melden, die den sozialen Netzwerken durch eine Beschwerde bekannt und von ihnen entfernt oder gesperrt wurden. Außerdem werden im Strafgesetzbuch verschiedene Straftatbestände geändert und erweitert.

LG Köln reduziert Strafe für Diebstahl aus dem Altpapier eines bekannten Künstlers

Das Landgericht Köln verurteilte am 03.12.2019 einen 50-Jährigen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 Euro, nachdem die Vorinstanz 90 Tagessätze zu je 35 Euro ausgesprochen hatte.

Der Fall ist interessant, da dem Laien oft unbekannt ist, dass die Aneignung von Abfall aus einer Mülltonne einen Diebstahl darstellt. In diesem Fall war dies von besonderer Bedeutung, da der Abfall von einem berühmten Künstler stammte und nicht für die Veröffentlichung gedachte Werke enthielt, die dieser vernichtet wissen wollte.

Der Verurteilte gab wohl an, dass er sich der Strafbarkeit seines Verhaltens nicht bewusst war. Auch deswegen wurde die Strafe in der Berufung reduziert.

Ein klassischer Fall der zugrundeliegenden Problematik ist die Frage, ob man Sperrmüll anderer Menschen an sich nehmen darf. Hier wird in der Regel von einer Besitzaufgabe ausgegangen. Aber Vorsicht: Manche Gemeinden haben Satzungen, in denen bestimmt ist, dass durch das Herausstellen von Sperrmüll eine Übereignung an das Entsorgungsunternehmen vorgenommen wird. In einem solchen Fall kommt man schnell in rechtliche Probleme.

Auf der sicheren Seite ist man übrigens, wenn man den Eigentümer fragt, ob man ein bestimmtes Stück an sich nehmen darf.

Bei Hausmüll und ähnlichem, persönlichem Abfall ist ebenfalls Vorsicht geboten, da hier regelmäßig eine Übereignung an das Entsorgungsunternehmen anzunehmen ist, wie auch in dem Kölner Fall. Der durchschnittliche Bürger möchte nämlich nicht, dass sein persönlicher Müll wie z.B. Rechnungen, alte Fotos oder eben auch mal seine Kunstwerke bei Dritten landen, sondern hat ein Interesse an deren Vernichtung.

Bundesrat möchte Haftentschädigung von 75 € pro Tag

Laut einem Beschluss des Bundesrats vom 20.12.2019 möchte dieser einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, nach dem künftig eine Haftentschädigung von 75 Euro pro Tag fällig werden soll.

Haftentschädigungen werden gezahlt, wenn eine Inhaftierung zu Unrecht erfolgt ist. Die letzte Anpassung der Entschädigung erfolgte 2009. Daher ist aus Sicht des Bundesrates eine Erhöhung erforderlich.

Der DAV hatte zuletzt eine Erhöhung auf mindestens 100 € pro Tag gefordert.

Die Justizministerkonferenz hatte sich 2017 für eine deutliche Erhöhung der Entschädigung ausgesprochen, ohne jedoch konkrete Zahlen zu nennen. 

Auch meiner Meinung nach ist eine drastische Erhöhung notwendig. 25 € pro Tag stellen kaum eine angemessene Entschädigung zu Unrecht erfolgter Haft dar.

Strafverfolgungsstatistik 2018

Nach der Strafverfolgungsstatistik 2018 (vorläufige Ergebnisse) wurden  ca. 712.300 Personen rechtskräftig von deutschen Gerichten verurteilt. Nach einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes am 01.11.2019 waren dies etwa 0,5% weniger Verurteilte als im Vorjahr. Wer von einem Gericht verurteilt wurde, bekam nach den Ergebnissen am häufigsten eine Geldstrafe. Freiheitsstrafe oder Strafarrest  gab es in 14,4%, Geldstrafe in 77,3% der Fälle. Bei 156.800 Personen endete das Strafverfahren mit Freispruch, Einstellung oder auf anderem Wege.

Jugendstrafe wurde in etwa 9.200 Fällen ausgesprochen. Im Jugendstrafrecht wurden aber viel häufiger weniger schwere Maßnahmen ergriffen. Bei rund 42.400 Jugendlichen wurden Zuchtmittel wie Verwarnungen oder Auflagen und bei 7.700 Erziehungsmaßregeln verhängt.

8 1/2 Jahre Haft für Einfuhr von Drogen

Das Landgericht Kleve hat am 04.11.2019 eine 27-Jährige Spitzensportlerin wegen Einfuhr von Drogen und Beihilfe zum Drogenhandel zu acht Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Sie habe wissentlich 50 Kilogramm Ecstasy und zwei Kilogramm Crystal Meth im Auto über die Grenze gebracht.

Die Einlassung, sie habe als Gegenleistung für eigenes Doping fremde Dopingmittel mitgenommen und nichts von den Drogen im Fahrzeug gewusst, bewertete das Gericht als unglaubwürdig. Niemand würde einem Kurier so große Mengen an Betäubungsmitteln mit nicht unerheblichem Wert überlassen ohne ihn zu informieren, urteilte dieses.

Mit diesem Argument, wenn auch in der tatsächlichen Urteilsbegründung in der Regel umfangreicher ausgeführt, werden regelmäßig vermeintliche Schutzbehauptungen von Kurieren zurückgewiesen. Ob dies immer zu Recht erfolgt ist der Prüfung im Einzelfall vorbehalten. So wird der Erfahrung nach wohl auch dieses Urteil in einem Revisionsverfahren überprüft werden.

Umsetzung der Prozesskostenhilfe-Richtlinie

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BT-Drs. 19/13829) wird in Teilbereichen kritisch gesehen. Es geht um die Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/1919 über Prozesskostenhilfe (PKH) für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Die Richtlinie war eigentlich schon bis zum 05.05.2019 in nationales Recht umzusetzen.

So positiv ich selbst den ursprünglichen Referentenentwurf bewertet hatte, so unschön ist es, dass einige dort vorgesehene Regelungen nun geändert werden sollen. So sollte ein Fall notwendiger Verteidigung ursprünglich zu einer Beiordnung zum Zeitpunkt der erstmaligen polizeilichen Vernehmung einer beschuldigten Person führen. Jetzt soll eine Beiordnung grundsätzlich von einer entsprechenden Antragstellung des Beschuldigten abhängig gemacht werden. Das ist nicht nur ein Bruch mit dem System der bisherigen Regelungen, da eine Antragsvoraussetzung bisher nicht existiert, sondern auch ein erheblicher rechtsstaatlicher Rückschritt gegenüber dem Referentenentwurf, da viele Beschuldigte schlichtweg zu schlecht informiert sind um solche Anträge zu stellen. Erfahrungsgemäß ist auch die Information der Beschuldigten durch die Ermittlungsbehörden über ihre Rechte oft unzureichend oder wird – gerade im Fall von Asylbewerbern – nicht verstanden.

Meiner Auffassung nach war auch das bisherige System, wie es nach wie vor gehandhabt wird, rechtsstaatlich bedenklich. Bisher wurde ein Pflichtverteidiger in der Regel erst bei einer richterlichen Vorführung beigeordnet. Das bedeutet, dass zuvor üblicherweise eine polizeiliche Vernehmung des Beschuldigten ohne vorherige Konsultation eines Rechtsanwalts erfolgt ist. Zwar besteht das Recht auf Beiziehung eines Rechtsanwaltes auch schon in diesem Stadium, jedoch scheitert dies oft an fehlender Rechtskenntnis oder schlicht an den finanziellen Möglichkeiten des Beschuldigten. Die Weichen für das weitere Verfahren werden aber schon bei der ersten Vernehmung gestellt.

Die Bedenken, dass die Strafverfolgung behindert werden könnte dürfen nicht dazu führen, dass Rechte der Beschuldigten de facto vereitelt werden. Zudem ist es im europäischen Ausland teilweise bereits Praxis Pflichtverteidiger schon vor der ersten Vernehmung beizuordnen und auch dort ist die Strafverfolgung deswegen nicht zusammengebrochen.

Aus rechtsstaatlicher Sicht könnte man durchaus fragen warum der Staat Angst davor hat, dass Beschuldigte früh durch einen Rechtsbeistand über ihre Rechte belehrt werden.

Fluggastrechteverordnung wird bekannter

Inzwischen scheint es allgemein bekannt zu sein, dass bei größeren Verspätungen von Flügen durchaus erhebliche Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 bzw. Fluggastrechte-VO) zu erhalten sind.

Nach Angaben des Deutschen Richterbundes hätten die Amtsgerichte, die für die 15 größten deutschen Flughäfen zuständig sind,  schon bis Ende August mehr als 50.000 Neuzugänge von sogenannten Reisevertragssachen verzeichnet. Für das Gesamtjahr 2019 wird mit fast doppelt so vielen Verfahren gerechnet.

Relevant ist neben anderen Ansprüchen insbesondere eine pauschale Ausgleichszahlung gem. Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 i.H.v. 250 € für eine Flugstrecke bis zu 1.500 km, 400 € für eine Flugstrecke innerhalb der EU von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flugstrecken von einer Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km und 600 € bei Flugstrecken von mehr als 3.500 km mit Abflugs- oder Zielort außerhalb der EU.

Meiner Erfahrung nach ist die Bereitschaft zum außergerichtlichen Ausgleich dieser Forderungen durch die Fluggesellschaften nicht sehr hoch, was die hohe Zahl der Klagen erklären dürfte.

Fünf Jahre Haft für durchtrennte Kehle

Am 25.09.2019 wurde vor dem Landgericht Regensburg ein Gastronom zu fünf Jahre in Haft verurteilt, weil er seinem Pächter mit einem Sushi-Messer die Kehle durchtrennt hat.

Der Pächter konnte trotz massivem Blutverlust durch eine Notoperation gerettet werden.

Eine Verurteilung wegen des angeklagten, versuchten Totschlags erfolgte trotz zunächst vorliegendem Tötungsvorsatz nicht, da der Täter nach der Tat zuließ, dass sein Sohn Erste Hilfe leistete. Dieser Umstand wurde als Rücktritt vom Versuch gewertet.

Diese Fallkonstellation (wie auch die eigene Hilfeleistung für das Opfer nach der Tat) ist typischer Prüfungsstoff im ersten juristischen Staatsexamen und wird den meisten Juristen bekannt vorkommen.

Marktmanipulation im Dieselskandal

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Vorstandschef Herbert Diess und dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn vor, Anleger im Jahr 2015 nicht rechtzeitig über die Risiken der Dieselaffäre informiert zu haben. Am 24.09.2019 wurde mitgeteilt, dass insoweit Anklage erhoben worden sei.

In der Mitteilung hieß es unter Anderem:

„Den genannten – ehemaligen oder amtierenden – Vorstandsmitgliedern der Volkswagen AG wird vorgeworfen, entgegen der ihnen obliegenden gesetzlichen Pflicht den Kapitalmarkt vorsätzlich zu spät über die aus dem Aufdecken des sogenannten Diesel-Skandals resultierenden erheblichen Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert und damit rechtswidrig Einfluss auf den Börsenkurs des Unternehmens genommen zu haben.“

Die Anklageerhebung bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht sieht, mithin davon ausgeht, dass eine Verurteilung wahrscheinlich ist. Die Entwicklung und insbesondere die von der Staatsanwaltschaft zusammengetragenen Nachweise dürften auch für das Kapitalmarkt-Musterverfahren der geschädigten Investoren in Braunschweig von erheblicher Bedeutung sein, wenngleich Strafverfahren und Zivilverfahren grundsätzlich voneinander unabhängig geführt werden.